Konzert 4 | Philharmonische Gesellschaft
Zahlreiche geistliche Kantaten für die Sonntage und Feiertage des Kirchenjahres hat Bach komponiert. “Widerstehe doch der Sünde”, BWV 54: ist der Titel der Kantate, die er für den Fastensonntag Oculi, komponiert hat und die wir am 6. März in der Kaiserpfalz hören werden.
Eine relativ kurze Kantate: Die Aufführungsdauer beträgt weniger als eine Viertelstunde. Früher glaubte man, die Kantate sei ursprünglich mal länger gewesen und uns sei nur ein Teil überliefert. Dies ist aber nach heutigem Wissensstand nicht der Fall. Das Werk ist vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes eine “Cantata”, ein Singstück für eine einzige Singstimme und nach dem einfachsten Schema dieser Gattung angelegt, indem zwei Arien um ein einziges Rezitativ gruppiert werden.
An Instrumenten werden nur Streicher und Continuo gefordert. Für Bach dürfte es eine große Herausforderung gewesen sein, innerhalb dieses bescheidenen Rahmens ein Spannungsfeld zu schaffen, das den Hörer fesselt. Anregen ließ sich der Thomaskantor offenbar durch den im Rezitativ dargelegten Doppelcharakter der Sünde, die “von außen eben wunderschön, von innen aber tödlich und ein Werk des Teufels” genannt wird.
Die Eingangsarie malt die verlockende Schönheit der Sünde, während zugleich der Einsatz mit einem dissonanten Akkord zum Widerstand aufruft. Auch der Mittelteil der Arie ist voller harmonischer Kühnheiten, von denen besonders der zweimalige Trugschluss zur Schilderung des “Fluchs, der tödlich ist”, seine Wirkung auf den Hörer nicht verfehlt.
Das Rezitativ, der zweite Satz, ist von den Harmonien äußert kühn. Auf die Worte “ein leerer Schatten und übertünchtes Grab” schafft Bach es durch die Auswahl der Harmonien, diese Leere hörbar zu machen.
Und der ariose Schluss dieser Arie erhält seinen Sinn durch die Textbezogenheit der raschen Continuoläufe, die das scharfe Schwert, das durch Leib und Seele fährt, abbildet.
In der zweiten Arie wird die trügerische Schönheit der Sünde als wahrhaft verwerflich, aber auch als besiegbar enthüllt. Die Sünde ist eine Gabe des Teufels. Aber so der Kantatendichter: Man ist ihr nicht hilflos ausgeliefert, sondern man kann ihr “mit rechter Andacht” widerstehen, so dass der Versucher die Flucht ergreift.
Und mit diesem dritten Satz endet auch schon die Kantate.
Dargeboten wird dieses Werk mit anderen von der wohl kultiviertesten Countertenor-Stimme der Welt, Andreas Scholl.
Während seiner Arien wagten die 6000 Zuhörer kaum zu atmen, berichtet „The Times“ von Konzert mit Scholl in London.
Andreas Scholl wurde in Eltville im Rheingau geboren. Beide Eltern waren Sänger, und er erhielt seine erste musikalische Ausbildung bei den Kiedricher Chorbuben. Später studierte er bei Richard Levitt und René Jacobs an der renommierten Schola Cantorum Basiliensis. Andreas Scholl ist Träger zahlreicher Preise und Auszeichnungen, darunter der ECHO Award, der Gramophone Award und der Edison-Preis, ebenso – gemeinsam mit seiner Frau, der Pianistin Tamarh Halperin – des Hessischen Kulturpreises. Als erster Countertenor überhaupt trat Andreas Scholl in der legendären Last Night of the Proms auf.
Begleitet wird Scholl von dem 2007 von Rachel Harris gegründeten Ensemble Schirokko aus Hamburg. Das Ensemble setzt sich aus Musikerinnen und Musikern zusammen, die an bedeutenden internationalen Ausbildungsstätten für Historische Aufführungspraxis – in Trossingen, Bremen, Würzburg, London und Amsterdam – studiert haben. Unter der Leitung der Konzertmeisterin Rachel Harris verbindet das Ensemble das versierte Spiel auf historischen Instrumenten oder deren Nachbauten mit stilbewussten, lebendigen Interpretationen.
Bei Konzerten unter anderem bei den Händel-Festspielen Halle, beim Festival Alte Musik Knechtsteden, Rheingau Musikfestival, beim Festival TON:Arten Sasbachwalden und beim Musikwochen Weserbergland sowie bei zahlreichen Auftritten im norddeutschen Raum konnte Schirokko vor begeistertem Publikum sein musikalisches Feuer entfachen. Das Ensemble ist regelmäßig in der Hamburger Elbphilharmonie und Laeiszhalle zu hören. Weitere Auftritte sind bei den Händel-Festspielen Halle (2023) und Festival Alte Musik Knechtsteden (2021) geplant.
Andreas Scholl / Altus
Rachel Harris / Violine
Ensemble Schirokko
Thomas Berning / Leitung und Orgel-Continuo
- Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Kantate „Widerstehe doch der Sünde“, BWV 54
zum Sonntag „Oculi“ für Alt-Solo, Violinen, Violen und Basso continuo - Konzert für Violine und Orchester a-Moll, BWV 1041
- „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“, BWV 170
Kantate zum 6. Sonntag nach Trinitatis für Alt-Solo, Oboe d’amore, (Flöte), Violinen, Violen, Orgel (obl.) und B.c.
06.03.2022 | 18:00 Uhr | Kaiserpfalz